Von Frauen, vom Fechten und von weiblicher Furchtlosigkeit…
…oder auch: Ein kritisches Ausrümpeln der Genderklischeekiste 🙂
Männer rennen auf dem Laufband, Frauen walken lieber mit Stepper. Männer stemmen fette Hanteln, Frauen verbiegen sich beim Pilates. Männer gehen zum Kickboxen, Frauen zum Tai Chi. Als bekennende Genderklischeegegnerin und Verfechterin der Gleichheit der Geschlechter bin ich eigentlich der Meinung, dass die Unterscheidung in Männer-und Frauensportarten Unsinn ist… und dennoch stolpere ich in der Praxis ständig über Gegenbeweise. Warum ist das so? Ich bin leider keine Soziologin und Sinn dieses Artikels ist es auch nicht, diese recht allgemein gehaltene Frage zu beantworten. Vielmehr lande ich immer wieder, wenn ich mein Schwert und meine Maske packe und mich unter die anderen zumeist männlichen Begeisterten einreihe, bei der etwas spezifischeren Frage: Männer gehen Schwertfechten. Aber wo sind die Frauen? Ja, was machen die Frauen eigentlich und wo sind sie? Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Frauenanteil unter den Schwertfechtern zwar vorhanden, aber dennoch gering ist. Im Gespräch oder beim Surfen durch Community-Profile entdecke ich durchaus bei der einen oder anderen Fantasy-, SiFi- oder Geschichts-Nerdin eine Faszination für Schwerter und „mittelalterliches“ Kämpfen. Als Reaktion aber auf meine konkrete Frage, wie es denn wäre mal ein echtes Schwert in die Hand zu nehmen und zu lernen, mit ihm umzugehen bekomme ich häufig ausweichende Antworten. Das beginnt mit „ich bin gar nicht aggressiv, Kampfsport ist nichts für mich“, oder „das ist doch viel zu schwer für mich, guck mich an“ bis hin zu „da sind doch nur Männer, da fühle ich mich nicht wohl“. Und ich gehe in mich und stelle fest, dass ich anfangs dieselben Sorgen hatte. Ach Mädelz, was sind wir doch manchmal für ein vorsichtiger Haufen! Lasst uns einmal die häufigsten Einwände etwas genauer unter die Lupe nehmen und ganz genau hinterfragen:
[singlepic id=61 w= h= float=right ]Ist das Fechten mit mittelalterlichen Waffen ein traditioneller Männersport?
Nun, zumindest war es das im späten Mittelalter und der Renaissance. Jean D‘Arc hin oder her, dass Frauen wie selbstverständlich zur Waffe gegriffen hätten, lässt sich –mit ganz wenigen Ausnahmen- vor dem 17. Jahrhundert kaum belegen. Natürlich gibt es hier und da Ausnahmen, doch bestätigen die nur die Regel. Auf den Fechtböden der Marxbrüder und Federfechter, der beiden großen Fechtgilden der Renaissance und in den meisten Schriftquellen der alten Meister, auf die wir uns bei der Rekonstruktion unserer Kampfkunst beziehen, sind Frauen (nahezu) nicht vorhanden. Als große Ausnahme in der frühen Fechtliteratur sticht Walpurgis hervor, die als mit Schwert und Buckler fechtende Frau im „Luitger-Manuskript“ I.33 (siehe Abbildung) unsterblich geworden ist. Ob die Dame freilich wirklich als reale Person existiert und der Fechtkunst gefrönt hat oder ob es sich doch eher um eine kulturelle Referenz handelt, deren Bedeutung wir nicht mehr kennen, ist Gegenstand gelehrter Debatten. Eine augenfällige Randerscheinung in der spätmittelalterlichen Fechtliteratur sind die –im gerichtlichen Zweikampf abgebildeten Frauen bei Hans Talhoffer und im Solothurner Fechtbuch. Allerdings sollte man sich in diesem Zusammenhang der Tatsache bewusst sein, das gerichtliche Zweikämpfe mit ihren Sonderregeln keine alltägliche Erscheinung waren und die Vorbereitung auf einen solchen somit auch nicht die fechterische Regel darstellt. Auch werden hier Geschlechterrollen eher zementiert denn aufgebrochen: Die Frau kämpft mit einem in einen Schleier gewickelten Stein, während der Mann –wohl um seinen körperlichen Vorteil auszugleichen und die Sache etwas spannender zu machen- bis zur Brust in einer Grube stehen muss und sich darin mit einer Keule –oder gleich ganz ohne Waffen- zur Wehr setzen darf.
Unterm Strich müssen wir also zugeben, dass Frauen zumindest auf den Fechtböden der Zeit, für die wir uns als Anhänger Liechtenauerscher Fechtkunst begeistern, nicht viel zu melden hatten. Aber wir leben glücklicherweise nicht mehr im Mittelalter, warum also sollten wir mittelalterliche Verhältnisse in unserer geliebten Kampfkunst zementieren? Nur, weil wir Frauen uns nicht trauen den Männern allzu höflich den Fechtboden überlassen? Dann wird das Schwert eine „Männer“waffe bleiben und das wäre mehr als schade. Nehmen wir uns also lieber ein leuchtendes Beispiel an Walpurgis! In allen modernen historischen Schwertkampfschulen –und natürlich auch in der Stahlakademie- sind Frauen höchst willkommen.
Ist (macht) Fechten aggressiv?
Historical European Martial Arts (HEMA) ist eine KAMPFkunst. Das verlangt innere wie äußere Offensive und natürlich wird man mit Kuscheln am Schwert schnell an seine Grenzen stoßen. Spätestens dann, wenn einem der Fechtpartner zum zehnten Mal auf die Fechtmaske haut und etwas ratlos wie auch verwundert den Kopf schief legt, weil man ihm eigentlich lieber friedliebend um den Hals fallen würde, anstatt auch mal zurückzuschlagen. Aber will Frau, wenn sie sagt sie „sei nicht aggressiv“ wirklich nur nett sein? Bedeutet „grundlegend von freundlicher Natur“ dass man alles und jeden liebhat und Konflikte ausnahmelos defensiv löst? Und um dem Umkehrschluss gleich entgegenzutreten: Ich muss nicht die Veranlagung besitzen jeden zu verhauen und grundsätzlich Konflikte mit der Faust zu lösen um einen Kampfsport auszuüben. Ich pflege mit einem Kampfsport auch nicht meine Aggressionen, auf dass sie zu handfesten Defiziten gedeihen mögen. Nein, es bedeutet vielmehr sich selbst und die eigenen Barrieren kennenzulernen, diese zu überschreiten (was KANN ich mental und körperlich wirklich?) und anderen Grenzen setzen zu können. Historisches Fechten ist eine All-Kampfkunst mit und ohne Waffen, und sie trainiert für die Psyche und den Körper gleichermaßen. Nichts anderes also, als was man in einem Selbstverteidigungskurs lernt, nur wesentlich umfassender und intensiver. Und ich behaupte außerdem: Mit mehr Spaß!
Ist Schwertkampf nur etwas für (männliche) Kraftmeier? Kann ich als Frau das körperlich überhaupt leisten?
Nein und Ja! Ich gestehe, wir sind im Gegensatz zum Mann kein Wunderwerk der Natur in Sachen Kraftmeierei: Es wird AUCH einer Frau leichter fallen 1400 Gramm 1 ½ Stunden in den Händen zu behalten, wenn sie zumindest eine echte Liegestütze hinbekommt. Schwertkampf ist anstrengend… aber wollen wir denn nicht fit werden? Frauen sind von ihrem Körperbau genauso zu sportlichen Tätigkeiten in der Lage wie Männer. Wir haben grundsätzlich den gleichen Muskelaufbauplan, kräftige Knochen und wir haben unseren Willen. Wir müssen nicht mit Bewegungstherapie und meditativer Gymnastik weichgespült werden. Wir können beeindruckend sein und unglaublich stark! Männer haben den Vorteil dass sie, bedingt durch das Hormon Testosteron, gelegentlich zur Selbstüberschätzung neigen. Dadurch gehen sie leichter über ihre vermeintliche Grenze und sind wagemutiger. Denn wer nicht wagt… Ergo: Männer kommen mit neuen Zielen manchmal besser voran, weil sie gar nicht hinterfragen ob das Ziel überhaupt in ihren Möglichkeiten liegt. Sie legen einfach los, ohne Gewissheit auf Erfolg. Und dann klappt es natürlich deutlich öfter (inklusive der sich dadurch ergebenden Fortschritte) als wenn sie erst gar nicht zu neuen Ufern aufgebrochen wären. Dies zeigt, dass oben formulierte Sorge vermutlich reine „Kopfsache“ ist. Der vermeintliche „Nachteil“ lässt sich spielend beheben indem wir Frauen uns mehr zutrauen, als NordicWalking-Kursleiter und Mode-Zeitschriften es uns glauben machen wollen.
Das Frauen durchaus auch anders können, zeigt dieses Finale des Swordfish-Turnieres von 2012 zwischen Jessicy Finley und Märta-Sofie Geijer. Hier kann sich so mancher Mann hinsichtlich Kampfgeist und technischem Können eine Scheibe abschneiden:
Womit wir also beim Punkt „allgemeine Sportlichkeit“ wären:
Setzt historisches Fechten nicht eine gewisse Grundkondition voraus?
Oft hört man von Frauen die Aussage: “Ich bin noch nicht fit genug für ein regelmäßiges Kampfkunsttraining“. Hier handelt es sich um eine echte Tautologie, denn wie will man denn ohne Training fit werden? Ich stelle immer wieder fest, dass gerade Frauen dazu neigen in diesen Endlosloop des „Unter bestimmten Bedingungen Wollen – Versagen – Sein lassen“ gelangen: „Erst nehme ich ab, dann arbeite ich daran etwas sportlicher zu werden und wenn ich mich DANN bereit fühle, beginne ich mit Schwertkampf!“ Ganz ehrlich? So wird das nie was. Denn schon Punkt 1 wird nicht hinhauen. Warum nicht mit dem Fundament beim Hausbau beginnen? Ich habe so viele männliche Couchpotatoes beim Fechten erlebt, die – mit „Herr der Ringe“-Ästhetik im Kopf und dabei in Wahrheit blass und pummelig vom Skyrim zocken – „auch zum Schwert greifen“ wollten. Die das dann auch taten, ohne sich zu fragen „was gebe ich dabei für ein Bild ab“ und „kann ich das überhaupt schaffen?“ Die dann eine Menge Spaß hatten und haben und, ganz wichtig (!), die mit der Zeit, wenn sie dabei bleiben, tatsächlich auch Körperkraft aufbauen. Also liebe Frauen: Seid ruhig zu pummelig oder zu dünn oder zu unsportlich! Kehrt euch einen Scheißdreck darum ob ihr in Sportklamotten gut oder albern ausseht! Das ist dem Rest der Truppe auch nicht wichtig. Lasst es euch am werten Popo vorbei gehen, wenn ihr geschlossene Parkhaus-Schranken hocherhobenen Hauptes, ähm, unterqueren könnt – es gibt übrigens auch kleine Männer! Greift zum Schwert, habt Spaß und ändert euer wohlbehütetes Leben!
[singlepic id=59 w=400 h=800 float=right]Wird man als Frau beim Schwertkampf „untergebuttert“?
Ich bin in noch keinem einzigen Sport derart vielen entspannten, friedlichen, schlauen und freundlichen Menschen begegnet wie beim Schwertfechten. Historische Kampfkünste scheinen grundsätzlich eher den gebildeten, unprolligen und zivilisierten Teil der Bevölkerung anzuziehen und auch die – sonst auch in besseren Kreisen verbreiteten- subtileren Formen des Chauvinismus sind hier eher selten anzutreffen. Schwertkämpfer und -kämpferinnen sind fair! Fechter stehen selten alleine mit ihrer Waffe auf dem Fechtboden. Sie interagieren meist mit einem Fechtpartner. Und weil es unter Männern ebenfalls Kleine, Große, Dicke und Dünne gibt, auch Langsamere und Schnellere, ist es völlig klar, dass alle aufeinander Acht geben. Ich habe noch keine Fechterin gesehen, die von einem männlichen Gegner überrannt, gedemütigt oder klein gemacht wurde. Ich habe aber sehr wohl schon dabei zugeschaut, wie Fechterinnen ihre Gegner im Sparring gekonnt platt gemacht haben, obwohl sie 40 cm kleiner waren.
Man spricht ja allgemein davon, dass eine Gruppe besser funktioniert, wenn der Anteil an Männlein und Weiblein in etwa gleich ist. Ich sehe das entgegen aller Untersuchungen und Statistiken etwas anders, aber nicht deshalb, weil Monokulturen besser funktionieren würden, sondern weil Geschlechter beim Schwertfechten schlicht keine Rolle spielen – und auch nicht spielen sollen!. Die aktuelle Leipziger Fechtertruppe der Stahlakademie ist, auch mit hohem Männeranteil, unschlagbar nett und entspannt. Wie so viele Gruppen, die ich bislang kennenlernen durfte. Aber wäre es dann nicht doppelt so schön, nach der Fechtstunde -anstatt im kleinen Häufchen in der Frauenumkleide zu hocken- sich laut quackelnd um die Duschen zu kloppen, einander das Shampoo zu leihen und, nunja, eben Mädelzgeschichten auszutauschen? Hach, irgendwie schon… 🙂 In diesem Sinne: Frauen, zu den Schwertern!
Zur Autorin:
Birte Sedat, Jahrgang 1973, betreibt seit elf Jahren unregelmäßig historisches Fechten in diversen Schulen und Vereinen: Zuerst bei Gladiatores in Karlsruhe, dann beim Zornhau – historische Fechtkunst e.V. in Offenbach am Main und aktuell in der Stahlakademie. Ihre Lieblingswaffe ist das Lange Schwert, aber sie mag auch das historische Ringen sehr.