„Athletik ist eine fundamentale Grundvoraussetzung jeder Kampfkunst, also auch des historischen Fechtens.“
Ich bin mir sicher, dass ich mit diesem Satz soeben bei etwa einem Drittel der Leser angeeckt bin. „Och nee, der Schneyer wieder mit seinem Fitness-Tick!“. „Solange ich ein guter Kämpfer bin, geht meine Fitness nur mich etwas an“. „Nur weil ich ein paar Kilo zu viel habe, kann ich doch trotzdem Schwertkampf machen!“. „Paulus Kal war auch dick!“.
OK, zumindest der letzte Satz ist originell und richtig. Trotzdem kann ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass man mit den Themen Fitness und Körperkomposition viele Liebhaber unseres Hobbys triggert. Es ist erstaunlich, dass ein banales Statement, inhaltlich gleichsam eine Binsenweisheit, zwar vordergründig von allen Aktiven mitgetragen, aber dann doch häufig im Laufe der darauf folgenden Diskussionen relativiert, ausgehöhlt und sogar direkt angegriffen wird. Fitness – also eine Sache, die sich in vielen anderen Sportarten, insbesondere in Kampfsportarten, von selbst versteht – erzeugt bei einem nicht geringen Teil der Diskutanten Unwillen und emotionale Abwehrreflexe. Woran liegt das?
Zuerst einmal ist Fitness etwas, das jeden ganz persönlich betrifft. Mehr als jeder zweite Deutsche war 2013 zu dick, 43% aller Kinder erreichen heutzutage bei einer Rumpfbeuge die eigenen Füße nicht mehr und Diabetes Typ 2 gilt inzwischen als Volkskrankheit mit stetiger Steigerungsrate. Konträr dazu schießen in den Großstädten Fitnessangebote aller Art wie Pilze aus dem Boden, Diätratgeber und Internetforen erleben einen Boom sondergleichen und mancher Bodybuilding-Youtuber kann von seinen Werbeeinahmen leben. Die Industriegesellschaften erleben also eine Spaltung ihrer Bevölkerungen in eine extrem überforderte, unfitte Mehrheit und in eine gut informierte, ziemlich fitte Minderheit. Zugleich sind kritisch geführte Diskurse über Schönheitsideale, Rollenbilder und Bodyshaming in aller Munde. Vor diesem Hintergrund wächst der Druck auf das Individuum, sich zu positionieren. Das Thema ist für viele Menschen diskursiv aufgeladen und emotional stark vorbelastet. Für den Kampfkunstlehrer bedeutet dies, dass er sich schnell auf dünnes Eis begibt, wenn er den allgemeinen körperlichen Zustand seiner Schüler thematisiert. Er muss zwischen den persönlichen Empfindlichkeiten einerseits und den wissenschaftlichen Fakten sowie den kämpferischen Notwendigkeiten andererseits vermitteln.
Ein weiterer Grund für die in der Szene verbreitete Athletik-Phobie ist die Geschichte des aktuellen HEMA-Revivals. Die Ursprünge der heutigen historischen Fechterszene liegen im Reenactment der 90er und 10er Jahre, denn die ersten HEMA-Vereine Europas waren oft Ableger von darstellenden Mittelaltergruppen oder hatten zumindest große personelle Schnittmengen mit solchen. Ein starker Mitgliederzustrom kam außerdem, durch Kinofilme und Romane befeuert, aus der Larp-Szene und der Nerdkultur. Sind diese Subkulturen nun per se schon nicht unbedingt Keimzellen der Sportlichkeit, sind sie außerdem ein Hinweis auf das Motiv, warum man sich dem Schwertfechten überhaupt erst zuwendet. Viele Trainer werden zugeben müssen, dass damals wie heute viele Neuzugänge nicht primär zu ihnen kommen, um sich anzustrengen und an ihrer Physis zu arbeiten, sondern eher deshalb, weil Schwerter, Schwertkampf und der ganze historische und martialische Nimbus eine große atmosphärische Anziehungskraft ausüben. Der Realitätscheck kommt für diese Leute oft bereits beim Probetraining und der schwierigen körperlichen Anpassungszeit danach. Verantwortungsvolle Lehrer nehmen diese Herausforderung gerne an und geben sich große Mühe, aus schwertbegeistertem Nerds schwertbegeisterte Athleten zu machen. In ihren Schulen herrscht ein großer, in der Regel positiver Motivationsdruck zu mehr Fitness und Bewegungskompetenz. Auch in „unserem“ Sport gibt es inzwischen viele gute Ansätze: Viele Schulen und Trainingsgruppen integrieren Kraft- und Konditionsübungen schon lange fest in ihr regelmäßiges Training. Lehrer wie Christian Eckert und Dave Rawlings experimentieren mit historischen Kraftsportmethoden oder Sport-unterstützenden Ernährungsformen. Leute wie Alex Bourdas schreiben Artikel wie diesen hier. Ich selbst halte große Stücke auf HIIT und Old-Scool-Hantelsport, predige seit langem das Fitness-Evangelium und schleife meine armen Schüler auch bei Regen und Schnee in den Park zum Workout, gerne auch mal ganz ohne Schwert.
Leider sind nicht alle Lehrer in diesem Punkt so enthusiastisch, und das hat ebenfalls etwas mit der Genese der HEMA-Szene zu tun. Denn diese erschuf sich, quasi im luftleeren Raum, mehr oder weniger von selbst, meist ohne Initiative aus bestehenden Sportverbänden heraus. Auch wenn es zurzeit einige Bestrebungen gibt, das historische Fechten stärker zu institutionalisieren (Stichwort: Dachverband), ändert das nichts daran, dass sehr viele Trainer Autodidakten sind und ihre Sportlehrerkompetenz bestenfalls im Eigenstudium und durch das jahrelange Herumstreunern durch die Workshop-Landschaft erworben haben (Anm.: Das ist übrigens bei mir auch nicht anders!). Einige Trainer waren freilich bereits gute Sportler und Kampfkünstler bevor sie zum historischen Fechten kamen, viele andere dagegen nicht. Und das sieht man leider auch.
Der Anteil an erschreckend unsportlichen Trainern in der Szene ist nach wie vor erstaunlich hoch und das dürfte ein weiterer Grund sein, warum das Thema hier manchmal polarisiert. Außerdem liegt es nahe, dass Trainer, die von körperlicher Fitness keine allzu hohe Meinung haben und selbst eher ungern mit gutem Beispiel vorangehen, nicht besonders gut darin sind, ihren Schülern entsprechende Tugenden zu vermitteln.
Was will ich mit diesem Artikel NICHT?
Ich weiß, dass viele von Euch schon bei dieser Einleitung aus dem Nicken nicht mehr herauskamen. Bei Euch renne ich sowieso offene Türen ein und vielleicht findet ihr diesen Artikel sogar komplett unnötig. In diesem Fall braucht ihr nicht weiterlesen; ich beglückwünsche euch für eure Disziplin und wünsche Euch weiterhin viel Erfolg!
Ebenso klar ist mir aber auch, dass es einen nicht geringen Teil an Lesern gibt, denen der Text Unbehagen bereitet, ein schlechtes Gewissen macht und vielleicht sogar dafür sorgt, dass sie sich angegriffen fühlen. Das sind Leute, die bereits unruhig mit den Füßen scharren und kurz davor sind, mir Vorurteile, „Fitnesswahn“, „Missionierung“ und dergleichen vorzuwerfen.
Das ist selbstverständlich nicht meine Absicht! Es geht mir keineswegs darum, unfitte Leute zu demotivieren, ihnen „ein schlechtes Gewissen“ zu machen oder an ihren Körpern herumzumeckern. Selbstverständlich darf jeder Mensch über seine Körperlichkeit verfügen, wie es ihm beliebt und weder soziale noch ästhetische Maßstäbe sollen hier eine Rolle spielen. Wie fit jemand sein will, wenn er historisches Fechten betreibt, liegt allein in seinem eigenen Ermessen.
Was will dieser Artikel dann?
Ich möchte die Diskussion versachlichen und mit einigen gerne gehegten Vorurteilen gegen Athletiktraining aufräumen. Denn obwohl mehr oder weniger alle HEMA-Praktizierenden irgendwie einsehen, dass ein starker und ausdauernder Körper für den Kämpfer eine gute Sache ist, gibt es –meist sozial gewachsene – Vorbehalte, die mit allerlei Argumenten verteidigt werden. Sowohl diese Vorbehalte als auch die falschen Argumentationsstrukturen, mit denen sie verteidigt werden, stehen der Entwicklung der Betroffenen im Weg. Ich gehe davon aus, dass sich jeder Schwertenthusiast wünscht, ein besserer Kämpfer zu werden als der, der er gerade ist. Ich gehe davon aus, dass sich jeder Fechter wünscht, effizienter, souveräner und verletzungsfreier zu fechten.
Defensive Denkstrukturen und Halbwissen, die unser Körperbild betreffen, können diese Entwicklung jedoch verlangsamen und manchmal sogar ganz hemmen. Der erste Schritt in die richtige Richtung ist daher, solche Argumente zu erkennen und sie zu „debunken“. Letztendlich will ich gerade die unfitten Fechter motivieren, indem ich ihnen Wege aus der Gedankenfalle zeige.
In diesem Artikel möchte ich die typischsten dieser Anti-Fitness-Argumente aufzählen, besprechen und entkräften. Als zusätzliche Motivation habe ich einige bekannte HEMA-Trainer, die mir als besonders athletisch aufgefallen sind, nach ihrer Meinung und ihrem Zusatztraining befragt und werde sie in den Bildkästen portraitieren, auf dass sie den Leser inspirieren und motivieren mögen. Beginnen wir nun mit dem ersten weitverbreiteten HEMA-Fitness-Irrtum:
„Das beste Fitnesstraining für den Fechter ist doch das Fechten selbst!“
Diese Meinung ist verständlich, denn so gut wie alle Menschen, die mit dem historischen Fechten beginnen, bemerken zu Beginn des Hobbys an sich selbst eine nennenswerte Steigerung an Kraft und Ausdauer. Ist es denn nicht so, dass das Schwert, welches am Anfang 5 Kilo zu wiegen schien, sich nach zwei Jahren wie eine Verlängerung des eigenen Arms anfühlt? Und können wir alle nicht nach einem Jahr Sparring weitaus mehr Gänge hintereinander durchfighten, bevor wir uns erschöpft auf die Bank werfen müssen? Alles richtig… und trotzdem langfristig falsch. Die Erklärung der Hintergründe ist nicht ganz unkompliziert, bleibt also aufmerksam
Die starke Performance-Steigerung von Neulingen ist nur ein vorübergehender Effekt, denn jeder ernsthaft trainierende Athlet weiß: Der Körper passt sich nur in dem Maße an, zu dem er genötigt wird. Die Evolution hat unseren Körper zur Sparsamkeit erzogen und Muskeln z. B. wachsen nur aufgrund überschwelliger Trainingsreize: Kann ich spielend 40 Liegestütze hintereinander ausführen, dann sind es die zusätzlichen 10 mühevollen, die diesen Trainingsreiz setzen und zur sogenannten Superkompensation führen. Kann ich z. B. problemlos einhundert Kilo heben, dann muss ich zusätzliches Gewicht auf die Hantel packen, um mehr Muskeln aufzubauen, als ich bereits habe. Ebenso verhält es sich mit der Ausdauer: Diese wird nicht durch gemütliches Joggen innerhalb meiner persönlichen Komfortzone gesteigert, sondern durch Intervall-Läufe auf Zeit oder gar Spurttraining. Dies nennt man das Progressionsprinzip und jeder Fitnesstrainer ist damit bestens vertraut. Prägnant kann man es so formulieren: Sobald ich an eine Belastung angepasst bin, ist diese nicht mehr dazu geeignet, meine Performance dauerhaft zu steigern und ich muss die Belastung erhöhen.
Nun ist die Erhöhung der Belastung beim Schwertfechten aber ein Problem, denn mehr als „viel und intensiv fechten“ geht nicht. Sicher, man kann seinen Schwerpunkt stärker auf das Freikampftraining verlegen, mehr Ringen und sich mit Vorliebe „die großen Jungs“ als Trainingspartner herauspicken… aber auch diese Steigerungsmöglichkeiten sind begrenzt. Es wundert also nicht, dass die allermeisten Fechter nach etwa anderthalb bis zwei Jahren auf ein Fitnessplateau gelangen und sich zwar rein technisch, nicht jedoch in Sachen Kraft und Ausdauer weiterentwickeln. Das liegt daran, dass sich ihr Muskelapparat und ihr Kreislauf jetzt einigermaßen an den aktuellen Grad der Belastung angepasst hat und sich nun mit Stagnation begnügen. Um als fortgeschrittener Fechter mit einer gewissen Trainingsroutine noch nennenswert stärker oder ausdauernder zu werden, kommt man an zusätzlichem Physis-Training gar nicht vorbei. Und exakt das ist der Grund, warum inzwischen so ziemlich alle Profisportler der unterschiedlichsten Disziplinen, vom Fußballer zum Eiskunstläufer, so viel Zeit im Kraftraum verbringen.
Ein weiterer Effekt, der hier mit hinein spielt, ist die sogenannte neuronale Adaption der Muskulatur. Ganz einfach erklärt: Unsere Muskulatur wird durch Nervensignale aus dem Gehirn und untergeschalteten motorischen Kortexen gesteuert. Je mehr „Andockstellen“ zwischen Nerven und Muskelfasern bestehen und je besser das Übertragungssystem kalibriert ist, umso mehr Muskelfasern innerhalb eines Muskels lassen sich ansprechen. Da unser Körper wie erwähnt sehr sparsam mit seinen Ressourcen umgeht, wachsen zu Beginn eines Trainingszyklus keineswegs die Muskeln, sondern diese werden erst einmal besser „verdrahtet“. Erst wenn diese Adaption halbwegs abgeschlossen ist, investiert der Körper Rohstoffe in den eigentlichen Muskelaufbau. Dieser Umstand erklärt die Tatsache, warum sich Neulinge beim Training nach einem halben Jahr deutlich gestärkt fühlen, muskelmäßig aber gar nicht zugelegt haben. Und er erklärt auch, warum dann in der folgenden Zeit (und oft für immer!) kein nennenswerter Kraftzuwachs mehr erfolgt, wenn das Fechttraining gleichförmig bleibt und kein zusätzliches Krafttraining erfolgt.
Aber warum überhaupt noch steigern, wenn man bereits eine gewisse Grundsportlichkeit erreicht hat? Damit wären wir bei Falschargument Nr. 2:
„Ich bin doch fit genug für meine Fechterei, mehr brauche ich nicht!“
Zuerst einmal ist das eine sehr relative Aussage, die ohne genaue Kenntnis des jeweiligen Trainings und der individuellen Fähigkeiten wenig Information bietet. Eigen- und Fremdwahrnehmung sind hier selten deckungsgleich. Zweitens ist sie schlicht falsch, denn „zu viel Fitness“ gibt es nicht. Natürlich kann man sich mit seinem aktuellen Stand zufrieden geben und einfach sein Ding machen. Aber viele meiner Schüler wollen nicht einfach irgendwie „gut“ sein, sondern sie wollen der beste Fechter/die beste Fechterin werden, der/die sie sein könnten. Ein mehr an Körperkraft (nicht zu verwechseln mit einem mehr an Kampfhärte, siehe dazu meine Ausführungen weiter unten!), intramuskulärer Koordination, Robustheit und Ausdauer ist in diesem Fall immer hoch willkommen, egal wie viel man bereits in seiner Kampfkunst erreicht hat. Ein möglichst hohes Maß an Athletik ist außerdem der beste Verletzungsschutz, den es gibt. Trainierte Muskeln und robuste Bänder schützen die Gelenke vor Verschleiß und Verstauchungen. Regelmäßiges Krafttraining führt zu einer Verdichtung der Knochenstruktur, ein Umstand, den gerade die Senioren unter den Fechtern relevant finden sollten. Ein Schutzpanzer aus Muskeln schützt Knochen und innere Organe außerdem beim Fallen und vor unglücklichen Treffern. Nicht zuletzt aber führt ein Mehr an kardiovaskulärer Ausdauer und statischer Haltekraft zu konzentrierterer, kontrollierterer Fechterei und dadurch zu mehr Sicherheit im Training, dazu später noch mehr. All diese Vorteile lassen sich, insbesondere bei fortgeschrittenen Schülern, durch zusätzliches Fitnesstraining leichter erreichen.
„Fitnesstraining nimmt dem eigentlichen Fechttraining Zeit weg“
Das kann leider zutreffen und tut es bei vielen Trainingsgruppen auch. Insbesondere dann, wenn Hallenzeiten knapp sind oder die Trainingsgruppe nicht über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügt, wird dem reinen Kampfkunsttraining schnell die alleinige Priorität eingeräumt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man damit umgeht: Die naheliegende und oft praktizierte ist die, jedes Training mit kurzen, aber knackigen Workout-Einheiten zu beschließen. Ein nur wenige Minuten langes, intensives Intervalltraining kann, wenn man es mehrmals die Woche betreibt, durchaus einen messbaren positiven Zusatzeffekt auf die Fitness haben und beschneidet das reguläre Kampfkunsttraining nicht allzu dramatisch. Freilich ist der Trainingseffekt längst nicht so hoch wie bei reinen Fitnesseinheiten. Meine persönliche Lösung ist daher, dass ich einmal pro Woche mit meinen Schülern eine extra Athletik-Einheit veranstalte. Da diese bei Wind und Wetter draußen stattfindet und vor allem auf Eigengewichtsübungen setzt, benötige ich weder den Fechtsaal noch irgendwelche Geräte dafür.
Versierte Sportler werden einwerfen, dass ein solches Training pro Woche für eine echte athletische Transformation immer noch zu wenig ist und sie haben Recht damit. Dieses Training ist eher als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht und ich lege meinen Schülern nahe, es eigenständig und alleine zu wiederholen. In eine ähnliche Stoßrichtung geht das Argument:
„Historisches Fechten ist schön und gut, aber das Hobby ist mir nicht wichtig genug, um noch mehr Lebenszeit in zusätzliches Fitnesstraining zu investieren!“
Ich habe volles Verständnis dafür, wenn jemand nicht so fanatisch ist wie ich und keine Lust hat, 50% seiner Zeit an das Schwert zu verschenken.
Aber wenn schon kein Fitnesstraining für das Fechten… warum nicht einfach ganz allgemein für starke Bänder und Sehnen, dichte Knochen, eine reine Haut, eine gesundere Psyche, die Erhaltung kognitive Leistungsfähigkeit, besseren Schlaf, bessere Colesterolwerte, ein stark vermindertes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes, erfolgreicher Kampf gegen Krebs, eine statistisch längere Lebensdauer mit geringem Alzheimer-Risiko und vieles, vieles mehr?
Wen das nicht überzeugt, dem ist nicht zu helfen… Kraft- und Kardiotraining sind Dinge, von denen man immer profitiert, auf sehr vielen gesundheitlichen Ebenen. Um nennenswerte und vergleichsweise schnelle Erfolge zu erzielen, reicht oft schon ein diszipliniertes Workout von drei Einheiten pro Woche mit jeweils einer Dreiviertelstunde Zeitinvestition. Das ist nichts, das eine Lebensplanung völlig aus den Fugen wirft und der Leser sollte sich fragen, ob das nicht ein bisschen Zusatzplanung wert ist. Es mag sein, dass dem ein oder anderen Leser das historische Fechten nur ein Hobby unter vielen ist… aber über die eigene Lebensführung nachzudenken hat noch niemandem geschadet.
„Ich bin eine Frau und möchte zwar fechten, aber nicht bullig werden und wie ein Bodybuilder aussehen“
Zuerst einmal muss ich mich dafür entschuldigen, dass dieser Artikel größtenteils maskulin „gegendert“ ist. Das historische Fechten ist leider immer noch viel zu sehr eine Männerdomäne und Frauen sieht man öfter (in ihrer Eigenschaft als zuschauende Freundinnen der fechtenden Männer) auf der Bank hocken als selber kämpfen. Trotzdem war es mir beim inflationären Auftreten bestimmter Substantive und aufgrund meines eigenen Unvermögens, komplizierte Sätze und Redundanzen zu vermeiden, einfach unmöglich, ständig „Die KämpferInnen, welcheR seine/ihre…“ usw. zu schreiben. Großes Sorry an die Leserinnen dafür und dies nur am Rande. Aber nun zum Thema:
Selbst Männern gelingt es auch nach Jahren hartem Trainings oft keineswegs, „wie ein Bodybuilder“ auszusehen. Wenn das so einfach wäre, wäre die Welt wahrscheinlich voller Bodybuilder. Frauen fällt es aufgrund ihrer Disposition noch einmal deutlich schwerer, sichtbar Muskulatur aufzubauen. Ihr genetisches Programm ist darauf nicht im gleichen Maß ausgelegt wie bei uns.
Nachdem ich in diesem Artikel aber deutlich herausgearbeitet, warum eine ausgeprägte Muskulatur dem Fechten förderlich ist, frage ich: Wollen und sollen Frauen sich diesen unfairen Vorteil der Männer gefallen lassen?
Denn selbstverständlich ist auch bei Frauen deutlich mehr herauszuholen und „Luft nach oben“: Durch diszipliniertes Training kann jede Frau ihre Kraft und ihre Kraftausdauer auf ein Level steigern, der nicht wenigen Männern Respekt abnötigt und sie für die Herausforderungen dieser Kampfkunst wappnet. Und zwar ohne dass man deswegen zum Mannweib wird. Diese Angst ist zum einen sozial begründet und hat nicht nur etwas mit falsch verstandenen Schönheitsidealen zu tun, zum anderen ist sie auch wissenschaftlich nicht haltbar. Denn, um mal ein bisschen Zuckerbrot auszulegen: Krafttraining strafft auch den weiblichen Körper. Bindegewebe festigt sich, Schenkel, Po und Arme werden zugleich schlanker, fester und runder. Muskeln erhöhen den Grundumsatz und damit die Fähigkeit, mehr Kalorien zu sich zu nehmen, ohne dabei „anzusetzen“. Welche Dame dies nicht überzeugt, die verweise ich auf den großartigen Artikel von Birte Sedat zum Thema.
„Na gut, Muskeln sind praktisch. Aber Ausdauer wird überbewertet. Ein realistischer Schwertkampf dauert nur wenige Sekunden und ich gewinne sofort oder eben gar nicht!“
Es stimmt: Kämpfe im „Bloßfechten“ würden in der Realität nur wenige Sekunden dauern. Schwerter sind tödliche Waffen und die Entscheidung kommt im Kampf mit dem langen Schwert oft sehr schnell.
Aber wie steht es mit dem Ringen? Und mit dem Harnischfechten? Jeder, der schon einmal mit einem gleich starken Gegner im Bodenkampf um das übrig gebliebene Schwert verkeilt war, wird die Relevanz von (Kraft)Ausdauer einräumen. Darüber hinaus sollten wir uns vom (wahrscheinlich über Samuraifilme angeeigneten) „Kriegerklischee“ des einsamen Schwertmeisters, der stundenlang meditierend in sich ruht, um dann für einige Sekunden förmlich zu explodieren, verabschieden. Wenn man schon einen historischen Vergleich bemühen möchte, wie wäre es dann mit einem Aufgebotskrieger des 15. Jahrhunderts? Eine Tag lang mit 30 Kilo auf dem Rücken durchmarschieren, dann das Lager aufstellen, Schanzungen graben, Belagerungsmaschinen aufstellen und schlussendlich im Morgengrauen vier Stunden lang in voller Rüstung am Sturm teilnehmen… das wäre mal ein körperliches Leistungsideal, welches man als Maßstab nehmen könnte.
Wir sind zum Glück keine Filmfiguren, sondern Fechter. Als solche fechten wir nicht EINEN Kampf sondern 30 Kämpfe zu zwei Minuten in einer Stunde. Die Kunst hierbei liegt nicht darin, solch ein Training körperlich einigermaßen würdevoll durchzuhalten, sondern beim 30. Gang immer noch fit genug zu sein, um einen Lerngewinn daraus zu ziehen. Müde Fechter sind jedoch nicht mehr in der Lage, das aktuelle Geschehen richtig zu erfassen und zu analysieren, sie haben deshalb eine niedrigere Lernkurve.
Außerdem ist es so, dass Trainierende, die unter Atemnot, allzu beschleunigtem Puls und mentalem Stress leiden, auch ein wandelndes Verletzungsrisiko für sich und ihren Trainingspartner sind. Unter metabolischem Stress, insbesondere bei starken Anstrengungen im anaeroben Bereich (auch hier ist wieder das Ringen zu nennen), machen Leute vermehrt Fehler, neigen zu Verzweiflungstaten und Husarenstücken oder haben keine realistische Einschätzung ihrer eigenen Härte mehr. Ausdauernde Fechter mit ungetrübter Wahrnehmung sind – vor allem in der zweiten Hälfte einer Trainingseinheit – sind die gelasseneren Trainingspartner und ein Mehr an Ausdauer dient somit auch immer der Trainingssicherheit.
„Pure Kraft ist beim Schwertfechten hinderlich und reines ‚Draufdreschen‘ hat mit Fechtkunst nichts zu tun “
Dies ist eines der am häufigsten rezipierten Argumente und ich habe gleich auf mehreren Ebenen ein Problem damit. Zuerst einmal ist dieser Satz freilich, so wie der da steht, nicht falsch. Denn wer möchte schon kunstloses „Gedresche“ betreiben und welcher Liebhaber der Materie würde nicht beipflichten, dass es sich bei Liechtenauers Kunst um die dosierte Anwendung einer Präzisionswaffe handelt? Und tatsächlich lehren uns Liechtenauers Zedel neben allerhand Technik auch, dass Kraft nicht alles ist, sondern dass man dort schwach sein soll, wo der Gegner stark ist – und stark sein nur dort, wo er mit Schwäche agiert.
Doch genau hier liegt der Verständnisirrtum derer, die sich auf die Überschrift dieses Absatzes berufen. Denn körperlich stark zu sein bedeutet natürlich keineswegs, diese Stärke mit übermäßig starken Hieben zu vergeuden, sich permanent in weiten Hieben „zu verhauen“ und damit einer der „Büffel“ zu sein, vor denen die alten Meister warnen. Genau genommen sagt das Vorhandensein von Körperkraft überhaupt nichts über die vielzitierte Härte (oder Weite) von Hieben aus, die ein Fechter einsetzt. In meiner täglichen Praxis als Fechtlehrer fallen mir allerhand Ursachen für übermäßige Schlaghärte auf, doch ein Zuviel an vorhandener Muskelkraft gehört eher selten dazu. Ganz im Gegenteil: Oft sind es gerade die durchtrainierten, athletischen Fechter, die sich beim Fechten besonders zurückhalten können. Das Eingangszitat ist also ein irreführendes Argument, da es Körperkraft mit Schlaghärte in einen kausalen Zusammenhang, oder gar gleich setzt. Dann wird das Ganze noch durch Adjektive wie „pur“ und Verben wie „Dreschen“ mit einem für vernünftiges Training destruktivem Mindset in Verbindung gebracht. Ein solch destruktives Mindset, welches zu Doppeltreffern und dem berüchtigten „Katapultfechten“ führt, hat jedoch primär psychologische und pädagogische-, aber keineswegs körperliche Ursachen. Die Debatte um die Schlaghärte von HEMA-Freikampf ist nötig und wichtig, führt aber hier am Thema vorbei.
Auch ich sage meinen Schülern beim Training immer wieder „zuviel Kraft! Sei weich wo er hart ist!“ etc. Doch meine ich damit nicht die vorhandene Körperkraft des Fechters, sondern seinen aktuellen Muskeltonus und seinen Krafteinsatz an der falschen Stelle und in der falschen Situation.
Ich möchte eine Gegenthese aufstellen: Ein hohes Maß an Körperkraft ist einer präzisen, entspannten und kontrollierten Klingenführung dienlich und in vielen Fällen sogar die Grundvoraussetzung. Jeder Trainer weiß: Alleine schon das Halten der Waffe in fixierten Huten fordert Einsteigern oft ziemlich viel ab und ermüdet sie schnell. Laufen, Springen, Hauen, Stechen und das Anwenden von Techniken sind grundsätzlich anstrengend und erfordern ein gewisses Mindestmaß an Kraft. Hat ein Fechter nur geringe Kraftressourcen, so muss er ein Großteil derer für das Aufrechterhalten der „fechterischen Grundfunktionen“, insbesondere der eigenen Waffenkontrolle, aufbringen. Für taktisches Fechten, Fühlen und Fehlen bleibt da nicht mehr viel übrig. Klingenkontrolle und der schnelle Wechsel zwischen, sowie das Halten bestimmter Positionen erfordert ein gewisses Mindestmaß an Haltekraft, und Fechter, die ihre Ressourcen bereits innerhalb dieser Grundarbeit verbrauchen, ermüden bald. Im Freikampf zeichnet sich ein Mangel an Kraftreserven am deutlichsten ab: Die Hände verkrampfen, die zitternden Arme schaffen es kaum noch auf Schulterhöhe und der Ort zeigt gen Saaldecke, weil ein steiler gehaltenes Schwert die Haltekraft entlastet. Dass ein derartiger Performance-Einbruch automatisch zu schlechter Technik führt, dürfte offensichtlich sein: Präzise Schnittführung, Ortkontrolle oder Fühlen im Band sind unter solchen Umständen kaum noch möglich. Die Bewegungen sind fahrig und übertrieben. Übertrieben wird in solchen Situationen auch schnell die Schlaghärte, denn wo die Kontrolle fehlt, wird instinktiv mit noch mehr Krafteinsatz kompensiert. Und da die Kontrolle fehlt und Erschöpfung das rechte Maß verhindert, führt das schnell zu einer Überkompensation. Nicht ein Zuviel an Körperkraft führt also zu übertrieben harten Schlägen, sondern ein Zuwenig! Wo jedoch die letzte Reserve mobilisiert wird, um bereits fehlende Kräfte auszugleichen, kann freilich nichts Gutes mehr entstehen und Fechter, denen die Kraft ausgeht, sind eine Gefahr für sich selbst und andere… insbesondere im Freikampf.
Ein Kämpfer mit einem ausgeprägten Muskelapparat befindet sich jedoch in einer ganz anderen, viel vorteilhafteren Lage. Nur ein geringes Maß der eigenen Kraftreserven muss hier in Dinge wie Bandkontrolle, Haltekraft oder Körperspannung investiert werden. All die Dinge, die man im Grundlagentraining gelernt hat, kosten den körperlich starken Fechter, relativ betrachtet, weitaus weniger Energie als den Schwachen. In Relation zur gesamten ihm zur Verfügung stehenden Muskelkraft macht die Aufrechterhaltung der fechterischen Grundstruktur beim starken Fechter nur einen geringen Anteil aus, er führt das Schwert metaphorisch „mit Links“. Ein Großteil der Reserven ist frei, um nach Belieben und der taktischen Situation angemessen eingesetzt zu werden. Die körperliche Kraft dient – und dies zu verstehen ist essentiell – nicht primär dafür, „noch härter schlagen“ zu können. Sie dient dazu, das Schwert kontrollierter und müheloser zu führen. Kraft (zumal „rohe“ oder „pure“) ist keineswegs ein Ersatz für Präzision und Kontrolle. Vielmehr ist gezähmte Kraft die Voraussetzung für diese Tugenden! Ein mehr davon führt, natürlich immer unter der Bedingung, dass auch der Rest des Trainings stimmt, zu einem sicheren und entspannten Fechten.
„Es geht beim historischen Fechten doch nicht um den perfekten Körper, sondern um gutes Kämpfen“
Das ist vollkommen richtig, und es gibt keinen Grund, diese Aussage anzuzweifeln. Allerdings ist es auch ein Satz, der in der Diskussion eher als Nebelgranate denn als stichhaltiges Argument funktioniert, denn – wie schon in der Einleitung klargestellt – geht es mir gar nicht um die Optik. Wir haben es hier mit einem sogenannten Strohmann-Argument zu tun, also dem Bekämpfen einer Behauptung, die nie jemand aufgestellt hat. Kampfsportler steigern ihre Athletik, weil das aus sehr vielen Gründen gut für ihren Kampfsport und für ihre Gesundheit ist. Dass man bei einem entsprechenden Trainingspensum außerdem irgendwann besser und fitter ausschaut als zu Beginn des Hobbys, ist lediglich ein netter Nebeneffekt und hat mit dem Thema eigentlich nichts zu tun.
„Mein Übergewicht ist mein Kampfgewicht und macht mich zu einem gefürchteten Ringer!“
Diesen Satz höre ich oft und ich nenne ihn den „Bud-Spencer-Komplex“. Übergewicht ist ein noch viel stärkeres Triggerthema als mangelnde Kraft und Ausdauer. Hier wird das diskursive Eis dünn und Betroffene werden schnell defensiv. Versteht mich nicht falsch, Buddy (RIP) war cool und ich mag Bohnen. Und es ist natürlich richtig, dass Körpermasse im Ringen von Vorteil sein kann. Schwere Leute sind schwieriger zu werfen und da adipöse Menschen ihr Trainingsgewicht ständig mit sich herumtragen, sind sie oft auch stark. Ich möchte mich auch gar nicht bei den vielen außersportlichen Gesundheitsrisiken aufhalten, die Adipositas mit sich bringt, in dieser Hinsicht verweise ich auf Wikipedia und möchte beim Kampfsport bleiben:
Gerne wird in diesem Zusammenhang das japanische Sumo, ein stark ritualisierter Ringersport, als positives Beispiel für dicke Kämpfer angeführt.
Doch der Leser möge sich kritisch fragen: Welches Schwergewicht hat mehr von seinen 100 Kilos beim Ringen: Jenes, bei dem 40% des Körpers aus Fett besteht oder jenes, bei dem ein Großteil davon Muskelmasse ist? Es liegt auf der Hand, dass jedes Kilo, das aktiv zum Kampf beiträgt, anstatt sich passiv auf der Matte mitschleppen zu lassen, von großem Vorteil für seinen Träger ist. Es gibt versierte Ringer mit 130 Kilo, vor denen habe ich Angst… allerdings wäre diese Angst noch weitaus ausgeprägter, wenn diese 130 Kilo aus purer Muskelkraft und nicht einfach nur aus Schwungmasse bestünden. Sehen wir einmal von der Tatsache ab, dass Sumo-Ringer ein erhöhtes Risiko für Diabetes und frühen Herztod aufweisen (Mist, ich wollte das doch eigentlich außen vor lassen, verzeiht) und es sich um einen stark ritualisierten Sport mit engem Regel-Set handelt, dürften das olympische Ringen sowie die diversen MMA-Ligen im Zusammenhang mit der Diskussion weitaus erhellender sein. In der Regel führen die Anforderungen einer etwas freieren Ringkunst zu einer ganz anderen Körperkomposition: Schwer darf man dort gerne sein, aber bitte mit möglichst hohem Muskelanteil. Beim Bloßfechten mit Blankwaffen geht es außerdem nicht um stoische Nehmerqualitäten, sondern vor allem um blitzschnelle präzise Aktionen. Da ist jedes Kilo, das nicht aktiv mitarbeitet, eher hinderlich als nützlich. Ich selbst habe an mir, obwohl ich keineswegs übergewichtig bin, dennoch festgestellt, dass eine absichtliche Reduktion des Körperfettanteils eine deutliche Verbesserung meiner Performance bringt. Nehme ich im Frühjahr von 89 auf 82 Kg ab, fällt mir das auf der Matte sofort durch ein wacheres Gefühl und eine vergrößerte Agilität auf. Auch die Fußarbeit fällt etwas leichter, die Knie spielen besser mit etc.
Wichtig ist es, zu verstehen, dass es hier eigentlich nicht um die Zahl auf der Waage geht, sondern um den Körperfettanteil. Würde ich mir die abgespeckten sieben Kilo wieder draufpacken, aber diesmal nicht als passives Fett, sondern als aktiv am Kampf beteilige Muskelmasse (was ungleich schwieriger zu erreichen ist, denn sieben Klo Muskeln mehr sind eine ganze Menge!), dann wäre dies ein massiver Fortschritt meiner körperlichen Verfassung, trotz des absoluten Gewichtes.
Zu guter Letzt sei auch noch erwähnt, dass starkes Übergewicht noch ein weiteres Risiko birgt: das unabsichtliche Verletzen eines wesentlich leichteren Trainingspartners. Sehr schwere Menschen fallen, trotz Fallschule, oft unkontrolliert, und sie fallen hart. Wenn dann jemand von etwas zierlicherer Gestalt im Weg liegt und diese Gefahr nicht handhaben kann, ist schnell etwas (bzw. jemand) kaputt. Ich habe mein eigenes Abspecken daher immer auch ein bisschen als Dienst für meine Trainingspartner betrachtet… Verwandt zu diesem Thema ist übrigens das Argument:
„Ich bin noch nicht fit genug, um am Athletik-Workout teilzunehmen“
Dieses Zitat ist kein Witz, das haben wirklich schon Leute zu mir gesagt. Die Logik hinter dieser Aussage ist die gleiche wie in: „Ich kann noch keinen Klavierunterricht buchen, mein Spiel ist dafür zu schlecht“ oder: „Kochkurse sind nichts für ich, ich verstehe zu wenig von Gewürzen“. Natürlich mag es Extremfälle von morbid adipösen Einzelfällen geben, deren De-Facto-Behinderungsgrad ein Intervalltraining zu einer riskanten Übung macht, doch solche Leute trauen sich selten bis nie in eine Kampfkunstschule und sind in einem Reha-Center besser aufgehoben. 99% aller Menschen, die mir begegnen, sind grundsätzlich trainingsfähig, wenn auch nicht immer willig. Hat man die Heiterkeit über Tautologien wie die Überschrift dieses Abschnitts erst einmal überwunden, erkennt man jedoch schnell das dahinter liegende, zutiefst menschliche Missverständnis: Viele Leute denken, Kraft- und Konditionstraining, zumal im Zusammenhang mit Kampfsport, seien nur etwas für die „fitten Sportler“, und sie selbst als Einsteiger müssten sich diesem Fitness-Grad irgendwie „von außen“ annähern, bevor sie den elitären Club aufgenommen werden können. Sie glauben, dass es eine körperliche Mindestanforderung für die Teilnahme, gleichsam als Eintrittskarte, am Fitnesstraining gäbe. Dass diese „fitten Sportler“ selbst einmal „unfit“ waren und nicht FÜR, sondern DURCH ihr Workout ihren aktuellen Stand erreicht haben, leuchtet ihnen erst mit dem zweiten Gedanken ein. Ihnen muss man erklären: Man wartet nicht darauf, „fit genug“ für Fitnesstraining zu werden, sondern man trainiert. Und zwar nicht erst nächstes Jahr, nächsten Monat oder „bald“, sondern der Weg zur Fitness beginnt jetzt, mit dem allernächsten Workout.
Außerdem ist ein solches Workout in der Vorstellung dieser Leute nicht etwa routinemäßige Arbeit, sondern eine Art Wettbewerb, bei der sie mühsam der mitleidig lächelnden Gruppe hinterher hecheln und vorgeführt werden. Sie stellen sich vor, wie die „fitten Leute“ (schon wieder dieser Begriff…) den unfitten zeigen, wie sagenhaft fit sie sind. Vor solch einer sozialen Drohkulisse, und sei sie noch so imaginär, hat natürlich jeder normale Mensch Angst und es ist Aufgabe des Trainers, hier im Vorfeld Bedenken zu entkräften und Aufklärungsarbeit zu leisten. Insbesondere Frauen müssen hier besonders betreut werden, denn in einer von Männern dominierten Kampfsportwelt lassen sie sich schnell von dummen Sprüchen und Mackertum entmutigen.
Weiter oben habe ich erklärt, warum überschwellige Trainingsreize und stetige Progression Schüssel zur körperlichen Veränderung sind. Beides findet immer leicht außerhalb der persönlichen Komfortzone statt, und zwar für Einsteiger und fortgeschrittene Athleten gleichermaßen. Es ist eben nicht Sinn eines gemeinsamen Workouts, dass alle das Gleiche tun und dabei miteinander konkurrieren, sondern es geht darum, dass jeder Teilnehmer sein individuell passendes Maß zur optimalen Konditions- und Kraftentwicklung findet. Wenn ich mit den Stahlakademikern ein Workout veranstalte, achte ich daher sehr genau auf die Trainingsstände der einzelnen Teilnehmer und ermutige die Sportler dazu, nicht identisch zu trainieren, sondern jeweils an ihrer eigenen Grenze zu arbeiten. Dabei trainieren wir zwar zusammen die gleichen Muskelgruppen mit ähnlichen Übungen, aber den entsprechend an das Individuum angepassten Varianten. Das bedeutet im konkreten Einzelfall, dass, während sich ein Einsteiger durch acht halbwegs saubere Liegestützen quält, ein durchtrainierter Kämpfer eben nicht lächelnd 30 Stück davon absolviert (was für ihn lediglich Kardiotraining wäre), sondern eine weit geringere Anzahl einer dafür deutlich erschwerten Variante, z. B. in Form von Diamond-Pushups.
Meine Schüler lernen sehr schnell, dass Vergleiche, Konkurrenz und Machotum hier keinen Sinn machen, denn „gut“ ist bei einem solchen Workout eben nicht der Athlet mit der absolut besten Leistung, sondern derjenige, welcher mit Hingabe, Biss und manchmal auch Leidensfähigkeit an seine oder ihre Grenze geht und unter großem Einsatz um den maximalen Trainingsreiz kämpft. Da dies auch bei einem „unsportlichen“ Einsteiger und einer leichteren Übung absolut der Fall sein kann und die KameradInnen schnell mit Anfeuerung und Lob bei der Hand sind, sind positives Feedback und Erfolgserlebnisse quasi vorprogrammiert. Um es kurz zu machen: Leidet man nicht gerade an einer schweren Krankheit, ist man grundsätzlich NIE zu „unfit“ zum Trainieren, ganz im Gegenteil: Hat man erst einmal begriffen, dass der eigene körperliche Zustand einer akuten Sanierung bedarf, gibt es keinen rationalen Grund, diese Instandsetzung länger hinauszuschieben.
„Es gibt extrem durchtrainierte Bodybuilder mit einem übergewichtigen BMI!“
Ja, das stimmt. Aber solange du kein „extrem durchtrainierter Bodybuilder“ bist, hast du davon relativ wenig. 😉 Mehr ist dazu nicht zu sagen, außer vielleicht noch die Anmerkung, dass auch mir der BMI nicht besonders wichtig ist, sondern, siehe oben, der Anteil aktiv am Gefecht mitarbeitender Muskelmasse.
„Körperliche Fitness hat zu 70% mit Ernährung zu tun, nicht mit Training“
Wie bei vielen Abwehrargumenten gegen Fitnesstraining steckt auch in diesem ein Funken Wahrheit, denn man kann mit einer schlechten Ernährung jeden Trainingsplan ruinieren. Es versteht sich von selbst, dass auch das ausgeklügelste Training zum Scheitern verurteilt ist, wenn man aufgrund jahrelanger Schlemmerei kaum die Treppe zum Gym hinaufkommt. Es gibt tatsächlich schwer adipöse Menschen, die durch ihr Gewicht derart eingeschränkt sind, dass viele Sportarten für sie in weiter Ferne liegen und sogar gefährlich sind. Ein Mensch mit einem Körperfettanteil von über 35% sollte sich genau überlegen, ob Burpees, Spurts und Hindernisläufe das sind, was seine Gelenke gerade brauchen können.
Trotzdem sind diese Erkenntnisse nicht nutzbringend, wenn sie dafür herangezogen werden, Fitness einfach bleiben zu lassen.
Stattdessen sollte klargestellt werden, dass eine vernünftige Ernährung fundamental wichtig ist, um seine sportlichen Ziele zu erreichen und dass es daher gilt, eine gute Ernährung zu fördern anstatt eine schlechte als Ausrede zu benutzen. Was eine „gute Ernährung“ genau ist, lasse ich hier einmal dahingestellt, denn diese Diskussion wäre ein Fass ohne Boden und zwei weitere Blogartikel dieser Länge wert. Wenn man mich jedoch auf den kleinsten gemeinsamen Nenner festnageln wollte, würde ich zum Thema Ernährung zusammenfassend schreiben, dass ein vernünftiger Umgang mit der Energiemenge (die konsumierten Kilokalorien sollten zum Verbrauch passen), eine Vermeidung von Insulinresistenz durch die Kontrolle des Kohlehydratkonsums, ein ausreichender Proteinanteil und ein generelles Meiden von stark verarbeiteten Lebensmitteln, Tabak und Alkohol in so ziemlich jeder Sportlerernährung eine fundamentale Rolle spielen. Die Wahl des genauen Ermährungskonzepts, seien es nun Vegetarismus, Paleo, Lowcarb, Highcarb, Intermittierendes Fasten oder Christians Gladiator-Diät sind eher eine Typenfrage.
Des Weiteren ist es natürlich so, dass auch Menschen, die sich bislang falsch ernährt haben und unter den entsprechenden Folgen leiden, vom Zusatztraining profitieren können. Das Training muss nur entsprechend angepasst werden, um die Leute dort abzuholen, wo sie gerade stehen! Im Klartext bedeutet dies, dass gelenkbelastende (Kardio-)Übungen zu vermeiden sind und stattdessen dem Krafttraining ein höherer Anteil eingeräumt wird. Die Trainierenden profitieren vom erhöhten Energieumsatz, der sich zum einen aus den beim Training verbrauchten Kcal ergibt, zum anderen jedoch auch eine Folge des Muskelaufbaus ist, da ein höherer Muskelanteil den Grundumsatz steigert.
„Ich habe daheim gar nicht die Geräte für ein Zusatztraining und ein Fitnessstudio ist mir zu teuer“
Dies ist eines der besonders leicht zu entkräftenden Vorurteile, denn das beste Fitnessgerät trägt ein Kämpfer bekanntermaßen stets bei sich: den eigenen Körper. Sogenannte „Calisthenics“, Kraftübungen mit dem eigenen Körpergewicht sowie fundamentale Leichtathletik, also Laufen und Springen, sind (Motivation und passende Kleidung vorausgesetzt) nahezu überall und jederzeit möglich. Übungspläne, Fachliteratur, Calisthenics-Apps wie Freeletics und Youtube-Channels gibt es wie Sand am Meer. Beispielhaft herausgreifen möchte ich die beiden Bücher „Fit ohne Geräte“ von Mark Lauren und „Training für Warrior“ von Martin Rooney, die meiner Meinung nach in jedes Bücherregal für Trainer gehören. Ich selbst habe letztes Jahr ein kleines Video hochgeladen, in dem ich das Fitness-Training der Stahlakademie vorstelle, hier ist es (siehe unten).
Mit diesem kleinen Filmchen, welches den Leser inspirieren und zur eigenen Leistung anstacheln möge, möchte ich diesen Artikel abschließen. Begonnen habe ich mit dem Satz „Athletik ist eine fundamentale Grundvoraussetzung jeder Kampfkunst, also auch des historischen Fechtens.“ Er steht für mich als felsenfeste Tatsache und ich hoffe, dass er in der HEMA-Szene im steigenden Maße die Verbreitung findet, die er verdient. Damit wir alle zusammen fitter, gesünder, verletzungsfreier und dennoch leistungsorientierter miteinander fechten können.
Ich bitte Euch um zahlreiches (gerne auch kritisches) Feedback und freue mich auf spannende und erhellende Diskussionen.
Torsten Schneyer, April 2017